“Der goldene Drache” – Schauspiel von Roland Schimmelpfennig in Zittau inszeniert
Ich mag diese einfachen Bühnenbilder, wo nur ein paar Gerätschaften in einem Feld sogar wie selbst agieren, weil die Schauspieler auf der Bühne diese jeweils für die Szene arrangieren. Mit ein paar Handgriffen entstehen genau die Szenen, die gewollt sind, nicht nur auf der Bühne, sondern in den Köpfen der Zuschauer.
Ich durfte mir die Generalprobe anschauen und bin komplett gefüllt mit Bildern und Vorstellungen, mit erzählten und gespielten Geschichten und mit gesehenen Szenen.
Die Art und Weise, wie Amina Gusner (Regie) die Absurditäten, die Roland Schimmelpfennigs Drama “Der goldene Drache” auf die Bühne bringt, sind verlockend bis erschreckend. Und genau darin liegt eine Spannung, um die uns Zittauer “Provinzler” die schwarz-rot-grüne Berliner Theaterszene gern beneiden darf.
Fünf Schauspieler, zwei Frauen und drei Männer schlüpfen während der 90 Minuten in 17 Rollen und sind während des gesamten Spiels auf der Bühne präsent, immer in voller Konzentration, immer dabei und von wenigen Ausnahmen abgesehen, was auch an der Platzwahl liegt, immer sichtbar. Dazu kommt noch eine Präzision der Drehbühne, die für das Spiel genutzt wird, und bei der laufend Gegenstände wie Sitzgelegenheiten und Tische verschoben werden. Selbst die Kostüme werden von den Schauspielern selbst und mit Hilfe ihrer Mitspieler gewechselt. Letzteres ist das Authentische was mir sehr gefällt.
Dieses Rollenspiel ist es auch, was den Zuschauer zunächst verwirrt, wenn selbst die Rollen der Rollen zu Rollen werden und sich männlich und weiblich, jung und alt, Mensch und Tier, immer wieder ins Gegenteil verkehrt.
Als Hilfe gegen diese Verunsicherung des Zuschauers, hilft es enorm, wenn die Schauspieler die “Stimme aus dem Off” selbst sprechen, wo und in welcher Situation sie sich befinden, wofür sie jetzt sozusagen die Rolle übernehmen.
Ich gebe zu, ich habe im letzten Drittel selbst auch kurz den Faden verloren, wer welche Rolle für wen denn gerade abgibt. Deshalb ist es so faszinierend und großartig. Und genau deshalb braucht sich ein Theateranfänger, was auch immer das sei, nicht über eine gewisse bis krasse Überforderung wundern.
Das Zittauer Theater bringt ein Stück auf die Bühne, in der verschiedene Szenen in einem fiktiven Haus erzählt werden. Diese werden anfangs langsam eingeführt und nehmen innerhalb der 90 Minuten an Wechselgeschwindigkeit zu und an Länge der Szenen ab. Das ist das Angebot intellektuell folgen zu wollen und können oder auszusteigen. Ohne Pause wird durchgespielt, denn nach einer, für mich, in diesem Stück durchaus vertretbaren Pause in dieser Inszenierung, würde die Hälfte der Zuschauer gegangen sein.
Am Ende laufen die einzelnen Fäden der Szenen zusammen, wie es aus verschiedenen Kinofilmen sehr gut bereits experimentell bekannt ist.
Der Zuschauer in einem “Provinztheater” könnte auch deshalb überfordert sein, mit welcher Intensität und mit welchem Ergebnis eine Vergewaltigungsszene auf der Bühne dargestellt wird. Auch deshalb darf es Drama genannt werden.
Allemal kommt auch der Spaß und der Witz nicht zu kurz, an manchen Stellen hätte ich mich krümeln können, über die Narrative, die erzählt und ggf. zerstört werden.
Mir haben die jüngsten Schauspieler auf der Bühne tatsächlich am besten gefallen. Für mich waren es die Engagiertesten im Spiel. Ob die älteren Darsteller, die Absurditäten die gezeigt werden sollten, durch ihre Spielroutine bereits kaputt gemacht haben?
Gespielt wird auf der Hinterbühne und somit auf der Drehbühne, um dessen Größe Zittaus Theater gern beneidet wird. Die Zuschauer sitzen in aufsteigenden Sitzreihen auf der Vorderbühne und schauen auf die Hinterbühne, deren Raum nach hinten und seitlich durch große Vorhänge begrenzt ist und als Bild/Video-Leinwand dient. Mit dem Einsatz von Licht und Hintergrundbildern werden die richtigen Situationen und Stimmungen unterstützt.
Die Schauspieler spielen in einem akustisch schwierigen Raum, der technisch nicht unterstützt wird. Deshalb finde ich es auch nicht schön, wenn Schauspieler sich vom Zuschauer abgewendet haben und ins Bühnenbild sprechen. Das ist ein alter Geschmack, wurde mir erklärt und darf meine Meinung dazu behalten.
Die Geschichte selbst ist nicht in dreißig Sekunden zu erzählen. So vielfältig die Geschichten in den einzelnen Szenen sind, so vielfältig ist das Leben. Soviel dazu soll reichen: Ein mit einer Rohrzange gezogener Zahn spielt eine Rolle als blutroter Faden, der in der Küche eines Chinarestaurant extrahiert wird, ein Pärchen in angehender Trennung, ein frisches Pärchen mit einer ungewollten Schwangerschaft, zwei Stewardessen, eine davon liiert, die Grille und die Ameise, ein nicht altern wollender älter Herr und eine unter Messiverdacht stehende Händlerseele. Alle wohnen unter einem Dach, ein Mietshaus irgendwo auf der Welt kann angenommen werden.
In dieses Wirrwarr der individuellen, schnell wechselnden und schnell erzählten menschlichen Geschichten wird auch noch die Fabel „Die Grille und die Ameise“ des französischen Schriftstellers Jean de La Fontaine eingewoben. Abseits der menschlichen Vorstellungskraft wird hier die Fabel als Gleichnis des zwischenmenschlichen Umgangs miteinander verarbeitet.
Das Stück hat kein Happy End, es endet mit zwei Toten. Ob Tier oder Mensch, verschwimmt hier in der Gehirnsimulation jedes einzelnen Zuschauers selbst und anders. Ich werde noch einige Zeit brauchen, um alle Bilder einigermaßen einordnen zu können.
Als ich ins Auto stieg und wieder losfahren wollte, merkte ich, wie schwer es mir fiel, mich auf den Verkehr zu konzentrieren. Deshalb ist das Stück empfehlenswert für jeden, der sich einen Cocktail an Bildern, Szenen und Emotionen aussetzen will und sicher ist, diese verarbeiten zu können. Erst holt es raus aus dem täglichen Wahnsinn und schickt einen dann zurück in den täglichen Wahnsinn.
Sonnabend, 29. März 2025, 19:30 Uhr ist die Premiere in Zittau.
Weitere Vorstellungen geplant:
Do., 03.04.2025 |10:00 Uhr
Fr., 04.04.2025 |19:30 Uhr
So., 06.04.2025 |15:00 Uhr
Fr., 11.04.2025 |19:30 Uhr
Sa., 17.05.2025 |19:30 Uhr
Niels Rezies 27-03-2025